Lügen die wir uns gerne erzählen

Zusammenfassung für eilige Leser

Kein Beruf ist davor gefeit. Keine Person ist davor sicher. Wir lügen uns gerne selbst in die Tasche, besonders bei Dingen, die für uns wichtig sind. Und das, obwohl die erdrückende Sachlage das Gegenteil geradezu vom Himmel schreit.

Im Geschäftsleben belügen wir uns genauso oft wie im privaten Alltag. Ob es darum geht, einen Deal abzuschließen, ein Event zu füllen oder Jahresziele zu erreichen. Unsere "Wunschvorstellungen" vernebeln die Realität und schränken uns ein.

Dieser Artikel deckt auf, wie wir uns in "nicht erhörte Liebe" zu potenziellen Kunden verstricken und warum das fatal sein kann.

Erfahren Sie, wie Sie diese (Selbst-)Täuschungen erkennen und effektive Strategien entwickeln, um die gesetzten Vertriebsziele mit Realismus und Vertrauen in ihre eigene Urteilskraft zu erreichen.

Sind Sie bereit, Ihren Vertriebsannahmen auf den Zahn zu fühlen?


Der Moment der Wahrheit: Ein Neujahrsvorsatz enthüllt

In der Silvesternacht sitzen wir gemütlich mit Freund:innen zusammen. Erich erzählt kurz nach Mitternacht von seinem Neujahrsvorsatz. Tatsächlich gibt es nur einen! Denn das große, einzige Ziel ist, dass seine Angebetete endlich erkennt, dass er der Richtige für sie ist. Nachdem er jetzt schon achtzehn Monate daran gearbeitet hat. Jetzt. Endlich. :-(

💡 Sich selbst belügen funktioniert auch im persönlichen Bereich.

In den frühen Morgenstunden war das ein gefundenes Fressen für alle am Tisch und ein gutes Thema, zu dem alle etwas beizutragen hatten. Die guten Ratschläge der Freund:innen, diesem ein Ende zu setzen, waren ebenso zahlreich wie Erichs Erklärungen, warum diese Beziehung auf jeden Fall zustande kommen würde.

Am nächsten Tag war dieses Ereignis dann eine gute Analogie zu den Business-Lügen, die wir uns und unseren Vorgesetzten nur zu gerne auftischen. Meist aus gutem und gut gemeintem Grund und nie mit der Idee der Lüge. Sondern immer mit voller Überzeugung. Und damit es nicht so hart klingt, nennen wir die Lüge nun eine Wunschvorstellung.

Realität vs. Fantasie: Die Wahrheit hinter unseren Wünschen

Egal ob es darum geht, einen Deal abzuschließen, eine Veranstaltung zu füllen oder Jahresziele zu erreichen - in der Regel tun wir dies nicht zum ersten Mal. Wir verfügen über Erfahrungen in Form von Zahlen, Daten und Fakten. Entweder haben wir eigene Daten oder vergleichen sie mit branchenüblichen Standards. Wir ziehen auch Expert:innen aus unseren eigenen Reihen hinzu. Daher verwenden wir hier das Wort "wir".

Allerdings neigen wir dazu, die Informationen so zu interpretieren, dass sie unseren Wünschen entsprechen. Im Vertrieb interpretieren wir beispielsweise einen Anruf von unserem Wunschkunden als ein sicheres Zeichen. Im Marketing betrachten wir die Anmeldung eines Gastes als den Startschuss für einen ausgebuchtes Event.

In solchen Fällen sind wir dem Confirmation-Bias, dem Vater aller Denkfehler, erlegen.

💡 Je stärker wir an die Erfüllung unserer Wünsche glauben, desto schwieriger wird es, die Wahrheit zu erkennen.

Die Tücken unerwiderter "Liebe" im Verkauf

Gelegentlich verlieben sich Verkäufer einfach in potenzielle Kunden. Sie investieren Zeit und Geld in der Hoffnung, dass letztendlich doch noch ein Geschäft entsteht. Selbst wenn es klare Anzeichen gibt, dass dies unwahrscheinlich ist, halten sie hartnäckig an ihren Wunschvorstellungen fest.

Die Herausforderung für Verkäufer und Unternehmen besteht darin:

💡 Nicht erwiderte Liebe macht blind und lahm.

Wenn Verkäufer sich in einen Kunden "verlieben", verlieren sie oft den klaren Blick auf die Realität. Sie ignorieren Fakten und halten an ihren Wunschvorstellungen fest, die sie mit eigenen "alternativen Fakten" untermauern. Sie glauben, dass sie bereits eine Beziehung zum Kunden aufgebaut haben und dass der Kunde ihr Produkt wirklich braucht. Kurzum, sie neigen dazu, jeden Kontakt, jede Begegnung mit diesem potenziellen Kunden durch eine rosarote Brille zu bewerten.

Diese selbst angelegten Scheuklappen verhindern, dass sie die Realität erkennen und helfen dabei, an einer aussichtslosen Situation festzuhalten.

Die hohen Kosten der Selbsttäuschung

Die Auswirkungen dieser nicht erhörten Liebe sind oft fatal. Verkäufer:innen investieren eine Menge Energie und Ressourcen in den Abschluss dieser Kunden, anstatt sich auf potenzielle neue Kontakte und Geschäftsmöglichkeiten zu konzentrieren. Dadurch werden auch andere (potenzielle) Kunden vernachlässigt, was den Vertriebserfolg insgesamt beeinträchtigt.

Wenn Führungskräfte dieser nicht erhörten Liebe ebenso verfallen, vergrößert sich das Problem weiter. Das Festhalten an unrealistischen Zielen und Hoffnungen wirkt sich negativ auf das gesamte Team und auf die Top-Line aus.

Das bedeutet:

  • Ineffizient eingesetzte Ressourcen im Vertrieb, Support und Marketing

  • Schwindende Motivation aufgrund nicht erreichter Ziele

  • Zurückbleiben hinter den Quartalszahlen

Warnsignale erkennen: Wann Hoffnung zur Illusion wird

Es gibt verschiedene Anzeichen dafür, dass man sich in einen Kunden "verliebt" hat und die Realität nicht mehr klar sieht. Dazu gehören:

  1. Ignorieren von Warnsignalen: Man übersieht oder rationalisiert die offensichtlichen Zeichen, dass der Kunde nicht interessiert ist oder nicht bereit ist, abzuschließen.

  2. Überbewertung von kleinen Erfolgen: Man fokussiert sich auf kleine positive Signale und interpretiert sie als Zeichen, dass der Kunde bald abschließen wird, obwohl es keine klaren Anzeichen dafür gibt.

  3. Vernachlässigung anderer potenzieller Kunden: Man investiert so viel Zeit und Energie in den Aufbau des einen Kunden, dass andere potenzielle Kunden vernachlässigt werden.

💡 Persönliche Anmerkung: Es kann kurzfristig mehr Aufwand erfordern, einen Deal abzuschließen, aber nur kurzfristig. Wenn diese anstrengende Aufgabe übermäßig lange dauert, sollte sie hinterfragt werden


Und Schlussendlich: Verlust der Objektivität: Man verliert die Fähigkeit, die Situation objektiv zu bewerten und hält an unrealistischen Zielen und Hoffnungen fest. Ein Zustand, der oft ohne eine eindrucksvolle Stimme von außen nicht mehr zu erkennen oder zu ändern ist.

Aufwachen und Handeln: Strategien gegen Selbsttäuschung

Die Anzeichen, dass der Wunsch wohl das Einzige ist, was von einem potenziellen Deal noch übrig ist, können kaum übersehen werden - mit der richtigen Methode:

Regelmäßige Reviews

Ja, hört sich furchtbar an! Von Vertriebsreviews haben die meisten Verkäufer:innen sowieso die Nase voll. Das Gute ist: es braucht nicht das ganze Team und der Chef dabeizusitzen.

  1. Review im eigenen CRM. Ich und meine Daten. Plus eine gute Prise Skepsis und das Wissen darüber, dass ich manchmal falsch liegen kann. Das, gepaart mit den richtigen Fragen und ehrlichen Antworten, bringt oft schnell bitter nötige Klarheit.

  2. Peer-Review. Erstaunlich, wie viel ungeschminkte Wahrheit eine Flug oder eine Autofahrt mit einer Vertriebskolleg:in bringen kann. Vor allem, wenn etabliert ist, dass klare Ansagen ein Service sind, der unbezahlbar ist.

  3. Team-Review. Wenn ein zweiter Kopf nicht ausreicht, braucht es manchmal mehrere. Und dabei ist, ebenso wie im Peer-Review, nicht nur die Frage selbst sondern auch das Format entscheidend. Nämlich respektvoll, freundlich und trotzdem bestimmt. (Jeder Wiener kann davon ein Lied singen, denn bei uns ist Wahrheit nur dann gut, wenn sie mit dem Holzhammer serviert wird.)

Die richtigen Fragen …

Die einfachste Frage ist jene nach dem Fortschritt. Und sie kann in den verschiedensten Abwandlungen gestellt werden:

  • Welche hilfreiche Information hast du im letzten Gespräch neu gekommen?

  • Welchen wichtigen Kontakt hast du gemacht oder wurde für dich gemacht?

  • Weißt du jetzt mehr über die finanzielle Situation des potenziellen Kunden? Und was genau?

  • Weißt du jetzt mehr über das Buying Center des potenziellen Kunden? Und was genau?

  • Wer sind die Entscheidungsträger? Was ihre jeweiligen Rollen und Verantwortlichkeiten?

  • Kannst Du einen überzeugenden Business Case präsentieren? Basierend auf klaren Problemen, Anforderungen und dazugehörenden Kosten / Nutzen-Rechnungen.

  • Etc.

… gute Antworten …

Als Profi-Vertriebsperson haben Sie erkannt, dass ein einfaches Ja oder Nein in den meisten Fällen nicht ausreicht. Zufriedenstellend sind meist detailreiche Antworten, die ohne zu zögern oder im besten Fall sogar schon verschriftlicht vorab vorliegen.

… und deren Überprüfung

Bin ich mit einer Antwort zufrieden, braucht es noch eine wichtige Zusatzinformation: den Beweis der Aussage. In Vertriebsprozessen ganz oft: die Quelle.

Also:

  • Von wem hast Du diese Information? Mit wem hast Du sie geprüft?

  • Wer hat Dir diesen Kontakt gegeben / gemacht?

  • Sind die Zahlen belegbar?

  • Wer hat dieses Problem als “seines”/”ihres” identifiziert?

  • Sind die Zahlen Deines Business Cases mit dem Kunden verifiziert?

💡 Wer im Vertrieb als Quelle seinen Bauch zitiert, reitet auch ein totes Pferd

Gerade wenn es um einen kritischen Vertriebsfall geht, rate ich, Bauchgefühl beiseite zu lassen. Vor allem dann, wenn es nicht nur einmal sondern mehrmals als Erklärung herangezogen wird und dem Bauchgefühl nicht auch Fakten zur Untermauerung folgen. Dann ist der Vertriebsfall definitiv eine weitere Überprüfung wert.

Die Kraft der Ehrlichkeit: Vertrieb, wie er sein soll

Zum Abschluss sei gesagt: Es erfordert Mut und Ehrlichkeit, sich den 'Lügen, die wir uns gerne erzählen' zu stellen. Doch gerade im Vertrieb, wo Erfolg und Misserfolg oft nah beieinanderliegen, ist dieser Schritt essenziell.

Indem wir unsere Selbsttäuschungen erkennen und überwinden, schaffen wir Raum für echte, nachhaltige Erfolge.

Dieser Artikel dient als Erinnerung und als Leitfaden, um den Nebel der Illusionen zu lichten und mit klarem Blick und fokussierter Strategie unsere wahren Ziele zu erreichen.

Lassen Sie uns die rosarote Brille ablegen und mit offenen Augen und realistischen Erwartungen in eine erfolgreichere Vertriebszukunft blicken.

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